Eine Zahl allein verändert wenig.
Doch wenn jemand die Geschichte erzählt, wie ein Jugendlicher nach einem Schultag tagelang im dunklen Zimmer liegt, weil ME/CFS ihm jede Kraft raubt, dann macht das betroffen. Geschichten berühren, sie bleiben im Gedächtnis – und sie können den Anstoß geben, dass Politik, Medien und Institutionen handeln.
Wir wissen viel: über Symptomlast, über Post-Exertional Malaise, über Versorgungslücken. Aber reine Information erreicht oft nur Fachkreise. Damit ME/CFS im Bewusstsein der Gesellschaft ankommt, brauchen wir Narrative, die abstrakte Fakten in konkrete Lebensrealitäten übersetzen. Denn erst durch Geschichten entstehen Empathie, Solidarität und öffentlicher Druck.
Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist Vorsicht geboten. Ihre Erkrankung darf nicht zum „Aufhänger“ werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Pädagogisch-psychologisch betrachtet gilt: Kinder haben ein Recht auf Schutz, Würde und Selbstbestimmung. Geschichten über sie dürfen nicht ihre Integrität verletzen oder sie später beschämen. Erwachsene – ob Eltern, Fachkräfte oder Aktivist:innen – tragen deshalb eine besondere Verantwortung.
- Geschichten so erzählen, dass sie Strukturen sichtbar machen – nicht die Schwäche eines einzelnen Kindes.
- Betroffene Jugendliche nur dann selbst zu Wort kommen lassen, wenn sie das ausdrücklich möchten und altersgemäß begleitet werden.
- Sprache nutzen, die respektvoll bleibt: nicht „Opfer“, sondern „junge Menschen mit besonderen Herausforderungen“.
==> So wird Storytelling zu einem Instrument der Aufklärung – nicht der Ausbeutung.
Eine einzelne Geschichte kann Türen öffnen. Wenn etwa eine Mutter schildert, wie sie zwischen Ärzten, Schule und Krankenkasse zerrieben wird, kann das eine Zeitung aufgreifen. Aus diesem Bericht entsteht Aufmerksamkeit, aus Aufmerksamkeit politischer Handlungsdruck. Und wenn wir viele solcher Stimmen bündeln, wächst daraus struktureller Wandel – hin zu besserer Versorgung und mehr Sichtbarkeit für ME/CFS.
Es reicht nicht, wenn wir unsere Geschichten nur in der eigenen Community teilen. Damit sich wirklich etwas verändert, müssen wir diese Stimmen in neue Räume tragen: in Fachverbände, in politische Gremien, in die Medienlandschaft. Netzwerker:innen spielen dabei eine Schlüsselrolle: Sie übersetzen die einzelnen Geschichten in gemeinsame Anliegen und machen aus Einzelschicksalen gesellschaftliche Fragen.
Geschichten sind keine Dekoration – sie sind Werkzeuge, um die Lebensrealität von Familien sichtbar zu machen und Veränderung anzustoßen. Wenn wir sie mit Respekt und Verantwortungsbewusstsein einsetzen, können sie Barrieren abbauen und Solidarität fördern.
Am 27.09. um 11:00 Uhr lade ich zu unserem nächsten Vernetzungstreffen per Zoom ein. Dort wollen wir gemeinsam überlegen, wie wir unsere Geschichten bündeln, ohne Kinder zu instrumentalisieren – und wie wir als Netzwerk dafür sorgen, dass ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen nicht länger unsichtbar bleibt. - Sei gerne mit dabei!