Für viele Menschen mit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom) ist das Zuhause nicht nur Rückzugsort, sondern Lebensgrenze. Die Außenwelt wird still – nicht aus Wahl, sondern aus Zwang. Mehr als die Hälfte der Erkrankten ist hausgebunden, viele sind bettgebunden. In dieser Realität scheitern herkömmliche Vorstellungen von Barrierefreiheit.
Barrierefreiheit endet nicht bei Rampen oder Aufzügen. Sie beginnt dort, wo Teilhabe noch möglich ist – digital, sozial, emotional. Es ist Zeit, sie neu zu denken.
ME/CFS betrifft weit mehr als den Körper. Die Krankheit zieht sich durch alle Ebenen des Lebens:
Doch: Diese Isolation ist keine Einbahnstraße. Digitale Räume eröffnen neue Wege. Sie sind nicht bloß Ersatz, sondern existenzielle Möglichkeitsräume.
Was Außenstehende als Internetblase abtun, ist für viele ME/CFS-Erkrankte das letzte verbliebene Stück Welt. In Online-Gruppen, Foren, Messenger-Chats und sozialen Medien entstehen Räume, die tragen:
Diese Netzwerke kompensieren, was in der medizinischen und sozialen Versorgung fehlt: Flexibilität, Augenhöhe, Glauben.
Echte Inklusion im digitalen Raum bedeutet:
Selbsthilfe bedeutet hier nicht Rückzug, sondern Selbstermächtigung. Was Betroffene selbst aufbauen, ist oft näher an der Lebensrealität als manche "professionelle" Hilfestruktur von außen.
Wer draußen nicht gesehen wird, braucht Räume drinnen, die Sicherheit bieten. Die digitale ME/CFS-Community ist so ein Raum: verbindend, glaubend, verstehend.
Gerade bei Erfahrungen von Gaslighting durch Ärzt:innen, Ämter oder sogar Angehörige wird diese Gemeinschaft zum Rettungsanker. Hier findet man Sprache wieder – und Würde.
Die ME/CFS-Community gehört zu den am stärksten marginalisierten – und gleichzeitig solidarischsten – Bewegungen überhaupt. In einem Alltag voller Grenzen entstehen Räume für Fürsorge, Wissen, Widerstand.
Nicht trotz, sondern wegen der Erschöpfung.
Barrierefreiheit bei ME/CFS heißt:
Räume schaffen, in denen Hausgebundene nicht übersehen, Bettgebundene nicht vergessen und Erschöpfte nicht überfordert werden.
Denn soziale Verbundenheit ist nicht alles – aber ohne sie ist alles nichts.